Liebes Leid und Lust

Als wir aus unserem letzten urlaub zurückkamen, fanden wir in unserem Garten eine halbverhungerte, pechschwarze, noch winzige Katze, die irgend jemand ausgesetzt hatte.

Mir tat das Tier leid, aber was, um Gottes Willen, soll ich mit einer zweiten Katze? Verhungern lassen konnte ich das kleine schwarze Wollknäuel natürlich auch nicht; also nahm ich das Tier zwangsläufig auf, gab ihm zu essen und zu trinken und machte mir zunächst einmal keine Gedanken darüber, wie s mit uns nun weitergehen sollte.

Ich sage "Tier", weil die einvernehmliche Einigung auf "Person" selbstverständlich bloß für meine Siamkatze und für mich gilt; kein Mensch und kein Tier wird automatisch zur Person; Persönlichkeit muss man sich erst mühsam aneignen, man muss sie erfahren, erdulden, erleiden. meine Katzenperson aber wollte oder mochte das "Tier" nicht; sie war eifersüchtig, hochnäsig, beleidigt, was weiß ich. Heute vertragen sich meine adlige Katzenperson und der keine, pechschwarze plebejische Teufel überraschend gut. Das "Tier" hat sich an uns gewöhnt, und wenn wir mal schlechter Laune sind, versucht es uns durch Fratzenschneiden oder mit neckischen Purzelbäumen aufzuheitern.

Vorgestern Nacht nun kam meine Siamkatze zu mir an Bett, miaute mich wach, lief aufgeregt hinaus, kam wieder zurück, miaute, zerrte an meiner Bettdecke und gab so lange keine Ruhe, bis ich aufstand und ihr nachging. Sie führte mich zur Garage, und als ich das Tor öffnete, sprang mir das schwarze Ungetüm entgegen, fauchte mich an und hetzte in den Garten. Ich versicherte immer wieder, dass ich das "Tier" nur aus Versehen eingesperrt hätte, aber meine beiden Katzen glaubten mir nicht;  Vertrauen muss man sich täglich neu erwerben, Vorschuss gewähren Katzen nicht. Was aber hat meine Katzenperson wohl bewogen, dem "Tier" aus der Klemme zu helfen? Nächstenliebe? Katzensolidarität? Ich will meinen Katzen nichts andichten, nur:  Mit Instinkt ist es wohl nicht zu erklären, obwohl ich mich hüte, meine Katzen zu vermenschlichen; ich will ja von ihnen auch nicht vertiert werden.

 

                                                   Werner Koch

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